Was macht aus einem Buch ein verdammt gutes Buch, dass es den Leser fesselt und nicht eher loslässt, bis er es ausgelesen hat? Charaktere mit Tiefgang, ein spannender Schreibstil, ein guter Plot? Ohne Frage alles wichtig, aber ein mindestens ebenso entscheidender Baustein ist die Heldenreise, die der Protagonist durchläuft.
Was ist die Heldenreise?
Die Heldenreise, manchmal auch Heldenfahrt oder Monomythos genannt, beschreibt die Entwicklung eines Protagonisten im Zuge einer Geschichte.
Hinter dem Begriff verbirgt sich das Konzept, dass eine Geschichte erst dann richtig fesselnd wird, wenn der Protagonist aus seiner bis dahin (mehr oder weniger) heilen Welt herausgerissen und mit einem Problem konfrontiert wird, dass er nur mit größter Anstrengung lösen kann – um dann reifer wieder zurückzukehren und das Abenteuer zu beenden. Das klassische Beispiel für die Heldenreise ist Star Wars, wo Luke Skywalker die Heldenreise durchläuft. Wer es nicht so sehr mit dem Weltraum hat, wird aber zum Beispiel auch im Herrn der Ringe fündig: der ganze Ringkrieg verändert die Charaktere. Aragorn tritt aus seinem Schatten heraus und akzeptiert seine Rolle als König, Legolas und Gimli knüpfen freundschaftliche Bande zwischen ihren Völkern, und jeder einzelne der vier Hobbits lernt und verändert sich auf der Reise so sehr, dass er hinterher nicht mehr derselbe ist wie zuvor – sie haben sich der Bedrohung durch Sauron gestellt und sind dabei innerlich gewachsen.
Was macht die Heldenreise mit dem Helden?
Die Heldenreise ist also eine große und einschneidende Veränderung eines Protagonisten, die er durchlaufen muss, um sein Abenteuer zu bestehen. Denn wenn er sich nicht verändert ist er unfähig die Probleme, denen er begegnet, zu meistern. Die Veränderung betrifft dabei immer auch das innere Wesen des Helden. Es reicht nicht, dass ein mittelmäßiger Schütze von einem Lehrmeister lernt besser zu zielen, um dann seine Gegner auszuschalten. Auf einer erfolgreichen Heldenreise muss der Protagonist über sich selbst hinauswachsen und sich seinen eigenen Schwächen und Problemen stellen:
War er vorher ein überzeugter Einzelgänger muss er z.B. lernen, dass er nur im Team mit anderen Erfolg haben kann.
Hat er sich anfangs nur um sich selbst gekümmert muss er vielleicht begreifen, dass es viel erfüllender ist andere glücklich zu machen statt sich selbst.
Hat er am Anfang der Geschichte nur getan, was andere ihm gesagt haben, muss er merken, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen und steuern muss, um glücklich zu werden.
Diese innere Veränderung ist zwingend notwendig für eine spannende Geschichte. Denn wenn der Protagonist sich nicht verändern muss, um seine Probleme zu bewältigen, waren diese nicht groß genug, um ihn zu einer Veränderung zu nötigen – und Probleme, die nicht wirklich dringend sind, ergeben keine spannende Geschichte.
Die Heldenreise ist zwar ein allgemeines Konzept, aber wie man an den obigen Beispielen sieht erlebt jeder Protagonist eine individuelle Reise. Der eine ist ein Bauernjunge oder harmloser Halbling, der die ganze Welt vor der Finsternis retten muss, der andere ist ein schüchterner Büroangestellter, der lernen muss über sich selbst hinauszuwachsen, um endlich seine Traumfrau anzusprechen und sich gegen seinen tyrannischen Kollegen durchzusetzen.
Verschiedene Helden – Verschiedene Reisen
Das klassische Modell der Heldenreise stammt von Campbell und wird heute von unzähligen Autoren verwendet. Eine Abwandlung oder Weiterentwicklung davon wurde von Vogler extra für Drehbuchautoren angefertigt. Victoria Lynn Schmidt hat die Heldenreise in eine weibliche und eine männliche Reise unterteilt, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Campbells Heldenreise hat 12 Stadien. Sie beginnt mit dem Ruf des Abenteuers, wenn der Protagonist einem Mangel begegnet oder sich mit einer Aufgabe konfrontiert sieht. Erst weigert sich der Held noch, weil er sein bekanntes Leben nicht verlassen will, aber schließlich bricht er doch auf. Er begegnet Problemen, aber auch einem oder mehreren Mentoren, die ihm helfen zu bestehen. Er stellt sich allen Prüfungen, die ihm gestellt werden. Schließlich sieht er sich seinem größten Gegner gegenüber, es ist die Alles-oder-Nichts-Herausforderung. Nur mit allergrößte Mühe und beinahe untergehend besteht der Protagonist auch diese Prüfung und erhält einen Schatz: Sein inneres Wachstum oder besonderes Wissen, das aber auch durch einen tatsächlichen Gegenstand symbolisiert werden kann. Nun beginnt die Rückkehr des Helden zurück in das Alltagsleben, das er zu Beginn seiner Reise verlassen hat. Er kann nun sein neu gewonnenes Wissen mit seinem alten Leben kombinieren und so die Gesellschaft an seinem Wachstum teilhaben lassen.
Zwischen Lynn Schmidts weiblicher und männlicher Reise gibt es kleine Unterschiede, aber beide haben 9 Stadien. In der weiblichen Reise muss der Protagonist tief in sein eigenes Inneres gehen und sich im Zuge der Geschichte verändern und wachsen. Der Protagonist erwacht sehr früh in der Geschichte und strebt im Zuge der Geschichte einer Art Wiedergeburt als reiferer Charakter entgegen.
In der männlichen Reise wehrt der Protagonist sich gegen dieses innere Wachstum bis kurz vor dem Ende der Geschichte, bis er schließlich gezwungen ist sich zu entscheiden innerlich zu wachsen und siegreich zu sein oder weiterhin gegen die innere Veränderung zu rebellieren und letztlich unterzugehen.
Dabei können natürlich auch weibliche Protagonisten die männliche Reise beschreiten und umgekehrt. Die Kategorisierung von Lynn Schmidt bezieht sich auf die Unterschiede beider Reisen, nicht auf das Geschlecht der Protagonisten, welche diese Reisen durchmachen. Wer mehr über Lynn Schmidts Reisen erfahren will, wird in ihrem wundervollen Buch 45 Master Characters fündig, das neben den beiden Heldenreisen auch eine große Hilfe bei der Entwicklung tiefgründiger Charaktere findet. Mehr über Campbells Heldenreise findet Ihr in seinem Buch Der Heros in tausend Gestalten (insel taschenbuch).
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